TÜBINGER VORLESUNGEN "Das philosophische Interesse an Rhetorik" Diese Vorlesungen sind sicher ein etwas ungewöhnlicher Versuch, in das grundlegende Frageinteresse der Rhetorik einzuführen. Ungewöhnlich ist dieser Versuch, weil er das rhetorische Frageinteresse und seine grundlegenden Kategorien weder historisch noch systematisch aus der traditionellen Rhetoriktradition rekonstruiert. Vielmehr wird dieses Frageinteresse fast nur aus zeitaktuellen Problemlagen entwickelt und erst dann gelegentlich mit einschlägigen historisch/systematischen Reflexionen verknüpft. Dadurch werden nicht nur viele Zugangsbarrieren zu diesem Frageinteresse abgebaut, es wird dessen Relevanz auch ausschließlich an Beispielen aus zeitaktuellen Problemlagen und deren methodischer Lösungschance erprobt statt dass sie mit der einschüchternden Autorität einer zweieinhalbtausendjährigen Reflexionstradition begründet wird. Trotz der gewollten Offenheit für zeitaktuelle Vernetzungen folgen diese Vorlesungen einer fest gefügten Reflexionsdramaturgie, die Seiteneinstiege etwas schwer macht. Deshalb verzichte ich auch auf eine inhaltliche Skizzierung der einzelnen Vorlesungen, sondern charakterisiere nur kurz zur besseren Orientierung und Hörmotivierung die 3 thematischen Reflexionsblöcke. Block 1: Wozu sind wir auf der Welt? (Hörlesung 1 bis 6). Mit dieser Frage wird auf eine oben bereits erwähnte Vodafone-Werbung explizit Bezug genommen und deren These („Du bist nicht auf der Welt, um zu schweigen“) als griffige Formulierung des rhetorischen Credos genutzt. Dieses Credo gilt ungeachtet einer großen Tradition monastischen Schweigens; denn Rhetorik geht weder von der Annahme eines sich redend offenbarenden und darum nur im schweigenden Hören vernehmbaren Gottes aus noch von der Existenz einer kontemplativ zugänglichen Ideenwelt. Rhetorik teilt vielmehr die sophistisch/aristotelische wie modern anthropologisch gestützte Auffassung vom Menschen: Nach ihr kann der Mensch als Mensch nur in einer soziopolitischen Lebensform überleben und d.h.: als ein redendes Lebewesen, das seinen zum Überleben notwendigen Kooperationsbedarf tendenziell nur über Verständigung erfolgreich zu befriedigen vermag. Rhetorik war und ist – substanziell verstanden - die Methodisierung dieser Verständigungsarbeit. Block 2: Heißen ist wichtiger als Sein (Hörlesung 8 -11) Der erkenntnistheoretisch spannende und für Rhetorik fundamentale Gehalt dieser Nietzsche-Behauptung lautet: Wir haben keinen direkten/unvermittelten Zugang zur Welt, sondern wir schaffen uns unsere Welt durch Meinungen, die wir über die Welt formulieren. Daraus folgt, dass die Welt in dem Maße veränderbar ist, wie unsere Meinungen über die Welt veränderbar sind. Entsprechend gilt gemeinhin als erstrebenswerte oder gefürchtete Macht, Meinungen durch überzeugende Rede beeinflussen zu können. Unstrittig jedenfalls ist, dass diese wie auch immer bewertete Macht den notorischen Kampf ums Heißen zu erklären vermag. Und das nicht nur in der Politik; auch zwischen Philosophie und Rhetorik bzw. Sophistik als deren Hausphilosophie ist dieser Kampf ums Heißen immer ein notorischer Streitpunkt gewesen. Wenn nämlich unser Weltbezug wirklich meinungshaft (doxastisch) strukturiert ist, dann sind auch alle Wahrheitsansprüche meinungshafte Geltungsansprüche, deren Geltungsgrund allein in ihrer überzeugten Zustimmungsfähigkeit besteht. An der geltungs- bzw. vernunfttheoretischen Relevanz dieser Zustimmungsfähigkeit hängt erkennbar die philosophische Relevanz von Rhetorik, wie sie im berühmten Protagoras-Satz kondensiert als Philosophie der Rhetorik formuliert ist: „Aller Dinge Maß aber ist der Mensch“.
Block 3: Das Betriebsgeheimnis der Rhetorik (Hörlesung 12 - 14) |
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